Windstrom aus dem Norden muss durch gigantische Stromtrassen in den Süden befördert werden – das hören wir beinahe jeden Tag und es erweckt langsam den Eindruck einer Gehirnwäsche. Warum verkürzt sich das umfassende Thema Stromnetzausbau in allen Medien auf diese kurze Standardaussage? Diese einseitige und befremdliche Informationspolitik kann man umso weniger verstehen, wenn man nachfolgende Zeilen aufmerksam liest:
Auszug aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, vom 08.06.2015:
Zitat des zuständigen Bundesministers Sigmar Gabriel:
„Heute haben 12 Nachbarstaaten in der Mitte Europas eine Zeitenwende in der Energiepolitik beschlossen: Sie wollen Versorgungssicherheit künftig nicht mehr rein national, sondern europäisch denken. Und sie wollen dafür vor allem die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes voll ausschöpfen. Damit setzen die Nachbarstaaten klare Prioritäten und ein wichtiges Signal, dass sie sich aufeinander verlassen können – trotz ihrer teilweise sehr unterschiedlichen nationalen Energiepolitiken.“
Die Erklärung enthält folgende Kernaussagen:
- Die Nachbarstaaten vereinbaren, verstärkt auf die Flexibilisierung von Angebot und Nachfrage zu setzen und dafür Marktsignale und Preisspitzen zu nutzen; sie kommen darin überein, keine gesetzlichen Preisobergrenzen einzuführen und Flexibilitäts-Barrieren abzubauen.
- Die Nachbarstaaten werden die Netze weiter ausbauen und den Stromhandel auch in Zeiten von Knappheit nicht begrenzen.
- Die Nachbarstaaten werden künftig die Versorgungssicherheit verstärkt im europäischen Verbund berechnen und hierfür eine gemeinsame Herangehensweise entwickeln.
Der Bundesrechnungshof schreibt in seinem Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im Jahr 2014:
…Die Klimaschutzziele der Bundesregierung sind derzeit deutlich ehrgeiziger als diejenigen auf europäischer Ebene. Die Europäische Union wird den Emissionshandel künftig vor allem auf die europäischen Klimaschutzziele ausrichten. Er wird dann kein Instrument mehr sein, darüber hinausgehende höhere nationale Klimaschutzziele umzusetzen….
Zahlen und Fakten (aus dem Bundeswirtschaftsministerium)
Deutschland ist wegen seiner zentralen geografischen Lage in Europa ein wichtiger Partner im europäischen Strommarkt und eine Drehscheibe der europäischen Stromflüsse. Der physikalische Stromaustausch erfolgt mit neun Nachbarländern – Dänemark, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Schweiz, Österreich, Tschechien, Polen und Schweden.
Deutschland konnte im Jahr 2014 einen Exportüberschuss im Stromaustausch von 35,5 Milliarden Kilowattstunden (kWh) verbuchen. So exportierte Deutschland im Jahr 2014 rund 74,4 Milliarden kWh Strom in seine Nachbarländer, während 38,9 Milliarden kWh Strom importiert wurden.
Der EU-weite Stromhandel wird zunehmen und Deutschland wird als Transitland Nr. 1 zwischen den west- und osteuropäischen Strommärkten deutlich mehr grenzüberschreitenden Stromhandel abwickeln als andere Länder. Stromimporte nach Deutschland kommen in erster Linie aus Frankreich und Tschechien. In Frankreich erfolgt die Stromproduktion zu 80% aus Kernenergie und die Energiepolitik in Tschechien setzt auch in Zukunft auf Kohleverstromung und den Ausbau der Kernenergie. (Quelle: Kraftwerke in Europa Teil 1 und 2)
Es müsste doch für Journalisten äußerst interessant sein, in diesem Geflecht aus Abhängigkeiten, Gewinnstreben und Machtkämpfen zu stochern und eine eigene unabhängige Recherche jenseits vorgefertigter Pressemeldungen voranzutreiben. Warum greift niemand die Hintergründe zum Thema – in unserem Fall SuedLink – eigenverantwortlich auf? Was sagen z.B. die regionalen Energieversorger zu den Plänen der Bundesregierung? Welche Chancen haben sie im wachsenden Stromhandelsmarkt? Wir vermissen investigativen Journalismus, der aufzeigt, dass diese Energiepolitik nicht im Namen der Energiewende verfolgt wird, sondern zum Freifahrtschein für eine zentrale Energieversorgung Europas wird. Mit der spannenden Frage: Wer wird diesen Markt kontrollieren?
Damit die Öffentlichkeit beruhigt und der Informationshunger gestillt wird, hat man eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, den
Die vom Bundeswirtschaftsministerium mit ca. 1,4 Millionen Euro geförderte Plattform soll den fairen und konstruktiven Austausch zwischen Betroffenen und Beteiligten ermöglichen, Akzeptanz zum Stromnetzausbau erhöhen und natürlich die Fehler im Bürgerdialog von Übertragungsbetreiber TenneT vermeiden. Das ist die Theorie….
Die Praxis sieht leider ganz anders aus.
Wer von SuedLink betroffen ist, vertraut auf die Arbeit der Bürgerinitiativen, auf Kommunalpolitiker, Bürgermeister und Landräte, die sich geschlossen hinter die Bevölkerung stellen und ein legitimes Ziel verfolgen, die Menschen vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen und die Zerstörung der regionalen Entwicklungsmöglichkeiten inklusive Raubbau an Natur und Umwelt zu verhindern. Und dieser Personenkreis ist zum heutigen Zeitpunkt natürlich über den geplanten HGÜ-Leitungsbau informiert, kennt den Ablauf der Bundesfachplanung und die bestehende Rechtslage.
Dass jetzt im „Bürgerdialog Stromnetz“ die Geschichte wieder bei „Adam und Eva“ beginnt, ist eine Farce und untergräbt jegliches Vertrauen in die Politik. Nach ca. einem Jahr intensivem Kontakt mit allen Beteiligten, nach Einreichung von Alternativtrassen, Aufzeigen von Raumwiderständen, Stellungnahmen zum aktuellen Netzentwicklungsplan, zahlreichen Unterschriftenlisten und Briefen an die zuständigen Ministerien und Behörden – will uns Dr. Ahmels (DUH) mit seinem Team erklären, wie man Stromtrassen im Einklang mit den Menschen vor Ort planen kann – und natürlich wieder einmal im Namen der Energiewende.
Vertrauen Sie auf die Kraft Ihrer Argumente und behaupten Sie nichts Unwahres. Respektieren Sie die Meinung der anderen Teilnehmenden, auch wenn Sie in der Sache unterschiedlicher Auffassung sind. (Regeln im Bürgerdialog)
Das Für und Wider des geplanten Netzausbaus sollte transparent dargestellt werden, das waren die Bedingungen an den Dialog, aber wir hören immer nur Überkapazität im Norden muss durch die HGÜs in den verbrauchsintensiven Süden transportiert werden. Der Süden, sprich Bayern will die Trassen nicht – der Energiedialog hat den Bedarf nicht bestätigt. Bundespolitische Ziele sind anders ausgerichtet als die landespolitischen, hört man von Vertretern aus dem Bundesministerium – also Klartext bitte: Welche Ziele verfolgt die Bundespolitik?
Wir werden manipuliert, durch psychologisch ausgefeilte Kommunikationstaktiken verunsichert, nach einstudierten Mustern wird Verständnis signalisiert und die Bereitschaft, sich für die Bürger vor Ort einzusetzen. Doch Fakt bleibt, dieser „Bürgerdialog Stromnetz“ wurde nur ins Leben gerufen um die Akzeptanz für die Megastromtrassen zu steigern. Auf die Argumente der Bürger will man nicht eingehen und schon gar nicht Entscheidungen überdenken. Dieser Führungsstil hat mit gelebter Demokratie nichts mehr gemein und wird erneut zu mehr Politikverdrossenheit und Unzufriedenheit führen. Deutschland, wohin gehst du? Die nächsten Wahlen werden ein Zeichen setzen.